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AutorenbildBritta

Come to me now

Aktualisiert: 27. Juli 2020

Der Dreck im Hausflur wird hier nur von einer Ecke in die andere gewischt, sagt sie. Manchmal lässt sich der Hausmeister auch gar nicht blicken. Durch den Schleier des Vorhangs hindurch sehe ich auf die gegenüberliegende Hauswand. Die Balkontür ist angelehnt, für Augenblicke bauscht der leichte Wind den Vorhang, kaum merklich. Man geht über einen unsichtbaren Film aus Schmutz, irgendwann kann man keinen Schritt mehr tun, sagt sie, ich will das Haus verlassen und stecke fest. Die beiden türkischen Mädchen laufen den Treppenabsatz hinauf und wieder hinab, ziehen sich am Geländer hoch oder lassen sich daran herabgleiten. Eines der Mädchen versteckt sich hinter dem anderen, als ich an ihnen vorbei die Treppe hinaufgehe, sie lächeln schüchtern. Als sie mir die Tür öffnet, stehen sie unten und rufen zu ihr hinauf, wer ich sei.

Die bereitgelegten Kleidungsstücke hat sie im Wohnzimmer zu Stapeln sortiert, sie geht vor mir her darauf zu. Auf meinem Schoß sammeln sie sich, ich falte sie auseinander und lege sie sorgsam zusammen, ich blicke mich im Zimmer um. Meine langsamen Bewegungen, ich streiche mit der Hand über den glatten Stoff, ich wende mich zu ihr um, zuletzt habe sie in einem Kindergarten gearbeitet, die Kinder im Haus hätten Vertrauen zu ihr, sagt sie. Neulich habe ein fremdes Kind einen Stock nach ihr geworfen, sagt sie, ein Kind aus dem Haus habe sie verteidigt, sie ist eine Gute, das habe das Kind gesagt. Sie spricht mit fester, tiefer Stimme und ich denke daran, wie zerbrechlich ich mir selbst vorkomme, wenn ich einem Kind begegne, das mich ansieht, falsch trage ich ein Lächeln im Gesicht. Fernes Rufen im Hof, in die Stille hinein ein rhythmisches Poltern, das Kind oben spielt Ball, erklärt sie und deutet mit der Hand an die Decke, es ist unsinnig, aber ich folge ihr dennoch. Sie ist aufgestanden und stützt sich auf die Lehne des Sofas, ein dumpfes Husten. Sie schaut an mir vorbei und spricht von ihrer Tochter, die schon lang nicht mehr in der Stadt wohnt. Sie habe einen guten Beruf, sagt sie, und streckt den schmalen Körper, sie prüfe Textilien auf ihre Festigkeit, dafür werde sie gut bezahlt, ihre Arbeit sei wichtig. Ich stelle mir ihre Tochter in einem weißen Kittel vor, hinter einer Brille aus festem Kunststoff, ich folge den Erklärungen, Satz auf Satz, bis ich das Bild nicht mehr sehe. Auch von ihrem Sohn spricht sie, nun da sie älter werde, ziehe er sie auf, er meine es nicht so, nur habe er Angst vor ihrem Hund. Der Hund aber drängt sich zitternd an mich, als sie für einen Moment das Zimmer verlässt, den Blick zur Tür. Als sie wieder im Zimmer ist, werfe ich einen Ball und er springt auf, verfehlt ihn im Sprung, läuft ihm nach.

Sie sei in einem Heim aufgewachsen, im Schwarzwald, ein paar Kilometer ins nächste Dorf, ein paar Kilometer bis zur Schule, erst viel später sei sie in die Stadt gekommen. Ich versuche mir ihr Leben in dieser Wohnung vorzustellen, wie es einmal war, die Stimmen streitender Kinder in der Küche, laute Musik aus einem der Zimmer, das Klirren von Geschirr, der Fernseher läuft, jemand steht auf dem Balkon und ruft etwas in den Hof hinunter. Jetzt drängt sich die Stille um uns, ich sehe ihr Gesicht, etwas abgewandt, sie beginnt zu sprechen in einer Stimme, die nicht ihre ist. Vielleicht ist es etwas, das wir teilen, denke ich jetzt, eine Ahnung, dass man nur weit genug zurückgehen muss, um zu verstehen; das lose Ende dort wieder aufnehmen muss, mit einem Wissen, das in uns verschlossen ist wie ein Bild. Sie führt einzelne Szenen auf, ich versuche die Teile in die Ordnung eines Lebens zu fügen, ich bemerke die Spannung, die ihren Körper wie an einem Lot ausrichtet, ihre Gedanken in einen Ausdruck zwingt. Sie erinnert sich, lässt hinter sich, ich sehe sie an und wieder schlüpft sie in eine andere Rolle. Sie spricht über sich selbst, aber in der Stimme eines andern, in der Sprache ihrer Kindheit. Sie hebt die Stimme, durch ihre hindurch höre ich die Stimme eines Mannes, höre Abscheu und Wut, höre eine irre Lust, die aus seinen Worten spricht, und sie, in der Scheune hat sie gelegen, in der Scheune.


Ich lege die Wäsche zusammen, die sie mir mitgegeben hat, ich probiere Kleider an, denke an sie, wie sie in der Erinnerung an die Blicke der Männer den Kopf zurückwirft, ihr Mund ein dünner Strich, die dunklen Haare um das blasse Gesicht mit seinen ausgeprägten Konturen. Ich drehe den Ton laut, ich höre ein Lied. Musik, wenn sie uns ergreift, lässt uns vergessen, aufgehoben die Zeit und das Verblassen in ihr, ohne Bedeutung das Ende, nur eines in allem. Alles, was wir sind, drängt sich zusammen, ich spüre es in der Hand, ganz warm von innen, ich halte mich darin wie einen Ball, der mir Gewissheit gibt, ich spüre die Kraft, ihn zu werfen, durch das offene Fenster, weit hinaus.





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Copyright Fotografie & Text: übertage - texte aus dem off (Juli 2020)



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