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  • AutorenbildBritta

Der Ruf eines Vogels

Aktualisiert: 27. Juli 2020

Der Ruf eines Vogels, den ich hörte, vom Dachfenster aus. Das Fenster eine kleine Luke über mir, ich stemme sie hoch, halte sie mit gestrecktem Arm, stelle mich auf die Zehenspitzen. Doch noch immer kann ich den Garten von hier oben nicht sehen, sehe nicht den Weg, der ganz hindurchführt, bis an den Zaun am Ende, der das Grundstück von dem der Nachbarn trennt, sehe nicht den holzumrandeten Kasten mit schmutzigem Sand, der ganz an den Zaun herangerückt ist. Von dort übersteige ich den Zaun. Ich sehe nichts als den Himmel, ein graues Weiß, nah und leer, und höre den Vogel rufen, dieselben Laute in rhythmischer Folge, unterbrochen von längeren Pausen, unbestimmbar weit, höre ihn wie vom Ende her. Ich bin allein, ich habe hier oben nichts verloren. Der Ruf drängt sich zwischen den feuchten Dachbodengeruch, er steigt aus dem alten Teppich mit seinen groben Fasern in einem dunklen Grün, der unter meinen Füßen kratzt, der weite Weg. Er steigt aus den Wänden, steigt aus allen Dingen, die herumliegen hier oben, aus den Betten und den Kissen, aus dem Holz der Regale und Balken, dem Spielzeug, steigt aus dem Vorhang des kleinen Abstellraums und den Dingen darin. Steigt aus dem Kassettenrecorder mit den vielen kreisrunden Löchern in der Vorderseite. Ich habe sie gezählt, viele Male, immer wieder, während ich auf dem Boden saß und auf die Stimmen hörte, die daraus zu mir drangen. Ich wundere mich, ihn hier oben wiederzufinden, er liegt mitten im Raum. Und mitten im Zimmer stehe ich, als wüsste ich, was ich nicht wissen kann, dass ich mich erinnern werde, an den Ruf des Vogels, der für eine Weile im Zimmer steht, ein Eindringling, wie ich.

Es gibt Zimmer, in denen bleiben wir, während wir durch Tausende anderer Räume gehen. Glauben uns, wenn wir uns fragen, in ihren Wänden eines Wertes versichert, tasten sie nach uns selbst ab, haben Teil an ihrer besonderen Art, die Geräusche fernzuhalten. Sie gewähren uns Ausblick, wir sehen von uns ab und sehen plötzlich weit. Wir öffnen eine Tür von innen, sehen den Lauf der Dinge im Wechsel der Jahreszeiten, finden fahrig Worte für beides. Wir gehen ein in die erbaute Stille von Häusern, decken sie mit Geräuschen zu, mit Geräuschen aus Maschinen, Geräuschen von Körpern, die aneinanderstoßen. Nachts werfe ich das Laken auf und schlage die Fingerknöchel an den Balken, warte auf das Rufen des Vogels im nahen Wald. Am Morgen finde ich keine Erklärung für die kleinen blutigen Stellen.


Im Wald, an einem späten Abend, war ich ihm einmal nah, in der Dunkelheit. Ein kurzes Stück Weg ging ich unter seinem Rufen, passierte die Gabelung des Weges, wo sich der Nachthimmel öffnet, für einen kurzen Moment. Die Fenster werden geschlossen, ich drücke die Luke in den Himmel von fernem Grau. Der Ruf eines Vogels, den ich hörte, von hier aus.



***

Einer meiner ältesten Texte, als ich eben anfing zu schreiben; zwei, drei Jahre mag das jetzt her sein.






© Text & Fotografie übertage – texte aus dem off, Mai 2020


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