Ich sehe die Frau, die ich selbst bin, von Ferne auf mich zu kommen. Sie folgt einer Bahn, die eine Wendung nimmt, sie läuft so schnell, dass es mir scheint, als schwebe sie über dem Boden und flöge darüber hin, ihrem eigenen Kurs folgend. An ihrem weit ausgestreckten Arm hält sie etwas wie ein Seil, das ihrer Bewegung im Flug vorauseilt. Es bildet eine Waagerechte über dem Boden, ich sehe es wie in angehaltener Zeit. Auch mit dem anderen Arm greift sie aus, bildet mit ihrem Körper ein Kreuz. In voller Bewegung wird sie gegen eine Wand geschleudert. Der Aufprall ist nicht zu hören, aber ich sehe die Schwellung an ihrem Arm, in ihrem Gesicht, sehe Töne von Rot und Blau auf ihrer Haut. Ich sehe die Frau in ihrer Flucht, ich bin die flüchtende Frau. Im Spiegel sehe ich mein von den Schwellungen verzerrtes Gesicht wie eine Maske, die nicht schmerzt, wenn ich sie berühre. Durchscheinende weiße Flecken inmitten der tiefrot geäderten Haut, verschleiert mein Blick. Die Augen zurückgetreten, überzogen von einer hellen Membran, die mich vor etwas schützt. Ich folge ihrer Gestalt aus der Ferne, immer wieder prallt sie in ihrer fliegenden Bewegung gegen eine Wand. Sie treibt sich selbst voran, unfähig ihren Lauf zu unterbrechen, Kräfte halten sie in ihrer Bahn. Die Wand, Aufprall, geräuschlos. Ich erinnere mich an die in der Sonne hell leuchtenden Farben der Fahnengirlande im Park. Ich erinnere mich an Strahlen von Licht, die eine dünne Haut durchtrennen. Ich erinnere mich an den Satz: Alles versinkt, dann eine Pause, Alles ist leer. Ich erinnere mich an den Satz: Die Farben sind verblasst. Ich erinnere mich, dass ich die Worte notierte: erschöpft von der Anstrengung. Ich erinnere mich an die Zeile: Möcht ich ein Komet sein? Ich glaube. Ich hatte eine große Kreuzung passiert, sehe groß die Zeichen, die dem Fußgänger das Überqueren der Straße im rasenden Verkehr ermöglichen. Das hohe Gebäude in meinem Rücken, aus dem ich herausgetreten bin. Ich stehe am Rande eines Platzes, einer Brache inmitten der Großstadt. In der Ferne, vor grauem Himmel, ragt die Gestalt eines Mannes auf, aus den vorübertreibenden Geräuschen lösen sich einzelne Worte. Ich beobachte den Schauspieler, folge all seinen Gesten, seinen Worten, die ich trotz der Entfernung hören kann, die zu mir dringen, als befände ich mich nur auf der anderen Seite der Wand. Immer wieder überquert er den Platz, steht auf steinernen Überresten, taucht überraschend erst hier auf, dann dort, er spricht einen Vers, als lege er keine Bedeutung hinein. Ich stehe regungslos, über uns und um uns herum eine angespannte Stille. Auch dort also, denke ich, hallen seine Worte nach, als wäre dort etwas, das sich, als sei es ein Körper, nach ihm ausrichtet. Ich denke an etwas, das ich zurückgelassen habe. Mit einem Mal ragt sein Gesicht vor mir auf, groß und nah. Ich frage mich, ob er mich sieht, was er über mich denkt, wie ich hier stehe, mein Gesicht in den Händen und als hielte mich etwas aufrecht. Ich durchquere einen Raum in gebrochenem Licht, ich sammle Gegenstände ein, lege sie Stück für Stück in einen Beutel, blicke mich um, doch ich muss mich tastend bewegen. Ich spüre, wie ich Zeit verliere, das Überqueren der Straße wird mich aufhalten. Ich kenne den Weg, ich will alles bei mir haben und nicht mehr umkehren müssen, wenn ich erst einmal dort bin.
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Copyright Fotografie und Text: übertage - texte aus dem off (August 2022)
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