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AutorenbildBritta

Hoping for a future when there is no future.

Hier beginne ich mein Journal.


Draußen diese Knallerei. (Als könnten sie einfach nicht von der Unruhenacht lassen.) Den Hund macht es nervös, mit einem Bellen flieht er in den Flur, sucht Zuflucht in einer dunklen Ecke. Ich bin angespannt, und in dieser Anspannung – und gleichzeitig gebannt und alle Anspannung vergessend – lese ich den Schluss von Paul Austers Roman Sunset Park. Ein abruptes Ende, es ist seltsam, sie alle dort zurückzulassen, in dieser um sich greifenden und unabwendbaren Zukunft ohne Zukunft. Der Roman erzählt die Geschichte einer Hausbesetzung. Nicht einer Hausbesetzung, wie ich sie mir im Berlin der 80er Jahre denken kann. (Obwohl – warum eigentlich nicht?) Die Geschichte von vier jungen Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen (aber alle auch, weil sie pleite sind) dafür entscheiden, gemeinsam ein etwas heruntergekommenes Haus in Sunset Park zu besetzen. Viele der Häuser in Sunset Park stammen aus der Zeit des 19. Jahrhunderts, wurden aus braunem oder grauem Sandstein erbaut, stehen da in Würde und Anmut. – Nicht aber das Haus, in das Bing, Alice, Ellen und Miles einziehen: es ist weder komfortabel, noch sonderlich alt noch sonst in irgendeiner Weise bemerkenswert. Das einzig wirklich Erfrischende daran ist der Ausblick auf ein Totenfeld von enormem Ausmaß. Der Green Wood Friedhof liegt direkt gegenüber, er markiert den höchsten Punkt Brooklyns und erstreckt sich über fast zwei Kilometer. Greenwood, eine riesige Parkanlage mit Wiesen, Weihern und zahllosen Mausoleen, ist nicht nur letzte Ruhestätte für etwa 600.000 Menschen, sondern – ich lese es auf Wikipedia nach – um die Mitte des 19. Jahrhunderts neben den Niagarafällen die größte Touristenattraktion des Landes. Natürlich ist das Ende des Romans nicht abrupt. Die Fäden werden verknüpft, die Zeiten überblendet (es ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, es ist heute), Miles erlebt die eigene Geschichte erneut; die gewaltsame Räumung des Hauses in Sunset Park erscheint mir wie eine große Metapher, für das Leben, für das Leben in Amerika. (Der Krieg, nicht etwa der Krieg, den Amerika im Irak oder sonstwo auf der Welt führt, sondern der Krieg in Amerika, Das hier ist Amerika, und Amerika kämpft gegen Amerika, ist auch das Thema in Austers Roman Man in the Dark – aber das ist eine andere Geschichte.) Ein Ende, das mich ratlos macht. Miles spricht es aus, they are all homeless now, he said to his father on the phone, Alice and Bing are homeless, he is homeless, the people in Florida who lived in the houses he trashed out are homeless. We are all homeless. Und doch kann sich die Geschichte hier wenden. Hier beginne ich mein Journal.

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