Ich stelle mir vor, ich gehe in das Bild ein. Ich betrete es nicht, ich bin darin, fühle Weiches um mich, als könnte ich die Luft spüren, die hier eine andere ist. Ich gehe auf den Tunnel zu, durch Töne von Blau und Schwarz, eine andere Sonne leuchtet hindurch, eine warme Farbe, es sind Klänge um mich, die einander überlagern und sich dehnen, ich atme frei. Ich will immer weiter hier gehen, durch kältere Schichten der Luft. Die Nacht wohl erinnert mich an die Möglichkeit eines anderen Seins, bringt mir die Zuversicht, eine Passage durchqueren zu können. Erwache ich in der Nacht, weiß ich sofort, wo ich bin. Ich träume von Räumen, die ich nie zuvor gesehen habe, es sind Orte, denen ich zu entkommen versuche; Orte, an denen ich mich verirre, die sich ausdehnen wie der Klang im Inneren des Bildes, sie entstehen vor meinen Augen, mit jedem meiner Schritte fügen sie sich in rascher Folge aneinander. Manchmal auch sind es Räume, die ich voll Ehrfurcht betrete, ich taste mich langsam hindurch, ich nehme die Bilder auf, doch sie verblassen im selben Moment. Ich gehe und lasse zurück.
Tage einer Ankunft, die mich glücklich machten. Mit ausgestrecktem Arm ging ich durch die Räume, wollte das weite Land umfassen, das ich im Vorbeigehen durch die Fenster im Dachboden sah, mit dem Kopf stieß ich an die Balken, die quer durch den Raum verlaufen. Noch in dieser Nacht träumte ich, dass ich fortgehen würde, suchte vergebens nach Möglichkeiten, das drohende Unheil abzuwenden, wurde gezogen von etwas, das ich nicht benennen konnte und das mir keine Wahl ließ. Ich bewohne andere Orte, finde das Glück jenes Tages nicht wieder, ich bewohne sie in dem Wissen, alles zurückgelassen zu haben.
Seit ich von dort fortging, breche ich fortwährend auf. Ich trage andere Bilder mit mir, während ich durch die Straßen dieser Stadt laufe, manchmal jedoch kommt es vor, dass ich innehalte. Ich betrachte einen Mann auf dem Balkon des gegenüberliegenden Hauses. Ich sehe ihn im Profil, hoch über dem Lärm der Straße, ich studiere seine langsamen und sich rhythmisch wiederholenden Bewegungen, deren Sinn ich nicht verstehe. Ich sehe einen anderen Mann auf einem Stück Asphalt inmitten zweier Straßen. Auf einem Bein stehend dreht er sich ein Stück um sich selbst, er trägt vornehme Kleidung, ich sehe ihn lächeln, das Hemd in der Farbe des Sommertages. Ein Krankenwagen fährt in der Gegenrichtung an uns vorbei.
So sehe ich auch das Haus, an jenem Nachmittag, von weit. Ich will eine Tür öffnen, ich spreche ein Gebet, ich suche nach meinem Zimmer in diesem Haus. Ich öffne alle Türen, hier im Haus lassen sich alle Türen öffnen. Einige der Zimmer tragen Namen, in meiner Vorstellung sind sie bewohnt von Frauen, das Echo hoher Stimmen dringt zu mir, sie umgreifen einander wie die Stränge eines Seils. Ich suche nach einem Weg zurück. Die Stadt ist ein Meer aus Zeichen, mit dem Blick am Boden folge ich ihnen.
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Bei dem Bild, in das ich mich hineindenke, handelt es sich um Das Innere nach Außen. Strukturale mit kleinem Individuum von Andreas Felix Kroll (Acryl auf Papier, 2002).
© Foto und Text: übertage – texte aus dem off, Mai 2020
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