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  • AutorenbildBritta

Käthe, Fragmente

Ich sehe in den Hof hinunter, im Zimmer ist es dunkel, auch in den Hof dringt kein Licht, dunkle Steine und dichtes Laub, alles in unerklärlichem Grau. Ich sehe auf das Schaukelgerüst herab, die Farbe blättert ab, unter Flecken von hellem Grün ein metallenes Blau, es ist nie jemand im Hof, wenn ich von hier hinausschaue. Ich bin den Wipfeln der Bäume nahe, ich sehe die hohen Bäume, die mich an die alten Menschen im Haus erinnern, eingefasst von Mauern schlagen sie ihre Wurzeln in die Erde. Schlagen ihre Wurzeln in das Fundament des Hauses, mit seinem Schweigen hinter den Türen, der Stille im Hausflur, der Stille ringsum. Ein Foto, das in dieser Zeit entstanden sein muss, zeigt sie mit einer anderen Frau, sie lächelt, die andere verschränkt die Arme, zieht die Strickjacke vor der Brust zu. Sie stehen vor dem Haus. Hinter mir die Stimmen, ich will hinausgehen, hinunter in den Hof, dort auf jemanden warten. Von Zeit weiß ich nichts. Dort unter den Bäumen stehen, die Hand an das metallene Gerüst legen, dunkles Grün, zu den Bäumen hinaufsehen, die Fenster sind nicht erleuchtet um diese Zeit. Ich sehe mich im Zimmer um. Ich erinnere mich nicht, je allein dort unten gewesen zu sein. Die Mustertapete an der Wand, ich suche die Tür zum Wohnungsflur, zu dem Raum, aus dem die Stimmen zu mir dringen. Ich habe die Küche verlassen, bin durch den Flur gegangen, in diesen Raum, sehe nach draußen. Dort drüben steht das Bild in einem Rahmen, ich sehe es an, oft verstohlen, wenn ich zwischen ihnen in der Küche sitze. Er sitzt auf einer Parkbank, den rechten Arm über der Rückenlehne, lässig den linken im Schoß. Er neigt den Kopf und lächelt, freundlich und ohne Scheu. Ich müsse mich doch erinnern, sagt sie, und in ihrer Strenge erscheint sie mir fremd. Es gibt in dieser Wohnung kein Bild außer diesem, der Fernseher läuft nie, wenn wir bei ihr sind. Unvorstellbar das nächtliche Dunkel, mildes Licht, das aus einem Winkel dringt, unter der Tür hindurch scheint; unvorstellbar das Mondlicht, das ins Zimmer fällt und das Bild und alle Dinge darum erfasst. Ich bin umgeben vom Dunkel des Tages, es ist schwer und endet nicht. Ein von hohen Bäumen umgebenes hohes Haus, von ganz oben sehe ich aus dem Fenster, die Steine ein dunkles Grau, die Stufen im Treppenhaus von einem sonderbaren Muster, unerklärliche Flecken im sauberen Stein, abgerundete Stufen, man könnte darüber gleiten, das Treppengeländer weich und glatt, wenn ich mit der Hand darüber streiche. Dunkle Haustüren, ohne Glas, kein Licht fällt von oben. Ich steige hinauf.


Zwei Polaroids in dunklen Farben, sie unterscheiden sich kaum, Nuancen von Blau, die sich über die beiden Gestalten legen. Neben ihr steht ein Mann, sein dunkler Bart irritiert mich, er beugt sich über das Grab, ich habe ihn noch nie gesehen. Eine Gießkanne steht zwischen ihnen, sie sieht zu Boden, neigt den Kopf, steht regungslos. Eine Handtasche aus dunklem Leder an ihrem Arm, mit einem Mal scheint sie zu schwanken. Der Mund halbgeöffnet, so erinnere ich sie. Sie öffnet ihn immer so, auch wenn sie nicht spricht, denke ich. Wir treten durch die schmale Tür auf die Terrasse hinaus, nehmen eine Stufe, sie atmet durch den Mund, greift nach der Luft, der dünne Flaum in ihrem Gesicht, sie ist leicht. Dann sehe ich sie hinten im Garten und wieder im Haus, wie sie den Namen einer kleinen Stadt in Norddeutschland sagt, sie wiederholt ihn. Ich sehe sie, wie sie von einem Leben spricht, das mir nicht ihres scheint. Später bedeutet der Name jener Stadt mir das Innere eines Hauses, das ich von alten Bildern kenne. Sie zeigen ein aufgeräumtes Zimmer, in das Licht fällt und sich in die schweren Stoffe senkt. Viele Jahre später stehen wir in der Halle, steht sie noch einmal an einem offenen Sarg, ich sehe an diesem Tag zum ersten Mal einen Toten. Sie erträgt es nicht. Ihre Schwester gefasst an dem Tag, an dem wir ihren Mann beerdigen, wie betäubt, sie scheint nicht zu hören, ihr Blick folgt schwerfällig. Sie aber gerät außer sich, beugt sich über ihn, ruft seinen Namen, dass es laut in die Stille hinein widerhallt, fasst ihn bei den Schultern. Dann, einige Jahre später, höre ich jemanden sagen, ganz fremd, wie sie niemanden erkennt.




Copyright Fotografie & Text: übertage - texte aus dem off, September 2020

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